Industrie im Stresstest: Wo Österreich jetzt handeln muss

Industrie im Stresstest: Wo Österreich jetzt handeln muss

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Industrieforum Herakles Management TenglerConsulting

Beim ersten Industrieforum von Herakles Management und Tengler Consulting am 13. November 2025 im Palais Berg diskutierten führende Stimmen aus Wirtschaft und Politik die Frage, welchen strategischen Footprint die österreichische Industrie künftig haben kann. Durch den Abend führten der CEO von Herakles Management, Dr. Bernhard Morawetz, und der CEO von Tengler Consulting, Andreas Tengler. Auf dem Podium trafen anschließend mehrere Perspektiven direkt aufeinander: Aus der Unternehmenspraxis sprachen Dr. Andreas J. Ludwig (Mitglied des Executive Boards der Management Trust Holding AG und Vorsitzender des Vereinsvorstands Agenda Austria), Cord Prinzhorn (Aufsichtsratsvorsitzender der Semperit AG und der Prinzhorn Holding GmbH) sowie Martin Ohneberg (CEO der HENN Connector Group und Präsident des Aufsichtsrats der Verbund AG). Die politische Perspektive brachte Anna Stürgkh, Abgeordnete zum Europäischen Parlament, ein. Gemeinsam zeichneten sie ein vielschichtiges, aber auch alarmierendes Bild der aktuellen Lage.

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Österreichs Industrie unter Druck

Über die Ausgangslage war man sich einig, die wirtschaftliche Lage sei angespannt, teilweise kritisch. Dr. Ludwig verwies auf eine Analyse von Agenda Austria, die zeigte, wie Österreich an Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen Regionen verliere, und wie sich dies heute auf die Stimmung vieler Unternehmen niederschlage. Zwar bringe die heimische Industrie nach wie vor hochqualitative, technologisch anspruchsvolle Produkte hervor, doch ein Zusammenspiel aus immer strengeren bürokratischen Auflagen sowie konstant hohen Lohn- und Energiekosten bremse diesen Vorsprung zunehmend aus.

Andreas J. Ludwig – Member Executive Board Management Trust Holding AG

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Schneller, mutiger, pragmatischer: die Konkurrenz aus dem Ausland

Außerhalb Europas entstehe eine neue industrielle Wirklichkeit, die viel schneller, mutiger und oft überraschend pragmatisch sei. Länder und Märkte, die früher als reine Produktionsstandorte galten, würden zunehmend zu Innovations- und Kapital-Magneten, die globale Industrieführer hervorbringen. Cord Prinzhorn verdeutlichte dies anhand mehrerer Beispiele. Während europäische Tech-Unternehmen in Europa mangels Risikokapitals häufig an der Skalierung scheitern, fänden sie in den Vereinigten Staaten Finanzierungsmöglichkeiten in völlig anderen Dimensionen. Gleichzeitig wachse der Wettbewerbsdruck aus Asien erheblich. Prinzhorn verwies darauf, dass dort längst nicht mehr nur billige Alternativen produziert werden, sondern technologisch nahezu gleichwertige Produkte – jedoch zu drastisch geringeren Kosten. So sei eine Hydraulikpumpe, die in Europa rund 16.000 Euro koste, in China bereits um nur 4.000 Euro erhältlich – technisch ident, nur ohne Markenlabel. Außerdem schilderte Prinzhorn von vollständig automatisierten Spritzgussanlagen-Parks in China, die in „Geisterschichten“ liefen und damit massive Produktivitätsvorteile erzielen. Erwähnt wurde auch höhere Produktivität in Ländern wie die Türkei durch die dortige 6-Tage-Woche.

Dr. Ludwig brachte ein, dass sich Österreich nicht ausschließlich im direkten Vergleich mit den USA oder China messen solle, sondern den Blick auf die näheren Nachbarn wie Dänemark und der Schweiz richten solle, um aufzuholen. Diese Länder haben ihre strukturellen Reformen – von Pension über Bildung bis Altersvorsorge – deutlich früher umgesetzt und damit jene Widerstandsfähigkeit geschaffen, die Österreich heute fehle. Dort hat der Staat bewiesen, dass rechtzeitige Anpassungen Industrien langfristig moderner und stabiler machen.

Der gemeinsame Nenner: Gute Produkte allein reichen in der schnell entwickelten Welt nicht mehr aus. Ohne mehr unternehmerischen Mut, mehr Tempo im System und eine echte Risikokultur steigt die Gefahr, hinter den großen Playern zurückzufallen – und das wertvolle Zeitfenster für notwendige Veränderungen zu verlieren.

Cord Prinzhorn – Chairman of the Supervisory Board, Semperit AG, Chairman of the Supervisory Board, Prinzhorn Holding GmbH

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Klimapolitik gegen Industriepolitik

Dr. Ludwig führte den steigenden Konkurrenzdruck auf die europäische Industrie zum einen auf restriktive Rahmenbedingungen und bürokratische Hürden, aber auch auf die Diskussion der Deindustrialisierung in Europa zurück – mit potenziell gravierenden Folgen für den Wohlstand.

Anna Stürgkh warnte hingegen davor, Klimapolitik und Industriepolitik gegeneinander auszuspielen. Das Problem liege vor allem in der Art und Weise, wie diese in nationale Gesetze übersetzt werden: häufig zu bürokratisch, zu fragmentiert und zu langsam an die industrielle Praxis angepasst. Statt als motivierender Faktor für Entwicklung und Innovation zu wirken, erzeugen sie zusätzliche Hindernisse für Wachstum und Skalierung.

Als Beispiel einer erfolgreich nachgebesserten Regelung brachte Stürgkh den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM): Trotz Herausnahme von rund 90% der Unternehmen aus der Regelung, blieben gleichzeitig weiterhin etwa 90% der Emissionen in der Erfassung. Für Stürgkh stellt dies einen wichtiger Schritt dar, bürokratische Lasten zu reduzieren und dennoch zielgerichtete Klimapolitik betreiben zu können.

Anna Stürgkh – Abgeordnete zum Europäischen Parlament

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Binnenmarkt vertiefen, Kapitalmarkt stärken, Handelsabkommen nutzen

In der Diskussion wurde herausgearbeitet, dass die größten Chancen von Österreichs Industrie im europäischen Binnenmarkt liegen. Prinzhorn griff heraus, dass jene Industrien eine Zukunft haben können, die für den europäischen Markt produzieren. Dafür notwendig sei allerdings eine Stärkung des Binnenmarkts und insbesondere des Kapitalmarkts. Stürgkh bemängelte, dass der Binnenmarkt durch 27 nationale Gesetzgebungen immer noch stark defragmentiert sei. Fehlende Einigkeit in der europäischen Wirtschaftspolitik und damit die Möglichkeit unterschiedlicher nationale Auslegungen von EU-Richtlinien führen de facto zu versteckten europäischen Zöllen. Der internationale Währungsfonds hätte berechnet, dass die regulatorischen Handelshemmnisse im Warenhandel einem 40% Zoll gleichkämen – bei Dienstleistungen sogar einem Zoll von über 100%. Stürgkh plädierte dafür von Richtlinien wegzukommen, und stattdessen echte europäische Regeln zu definieren, weil dies Unternehmen leichter macht, die in ganz Europa tätig sein wollen.

Einig war die Diskussionsrunde sich hinsichtlich des Bedarfs, neue Exportmärkte zu erschließen. Stürgkh zeigte die Chancen des Mercosur-Abkommens auf, in deren Staaten aktuell aus europäischer Sicht mehr exportiert wird als in die USA. Hier läge für die österreichische Wirtschaft ein großes Potenzial. Wenig Verständnis hatte die Diskussionsrunde für die Abwehrhaltung einzelner Interessensvertretungen in Österreich.

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Industrie neu denken

Die Runde diskutierte diverse Ansatzpunkte für die Entwicklung der österreichischen Industrie. Martin Ohneberg betonte, Österreich solle nicht versuchen, mit Produktionskapazitäten globaler Großplayer mitzuhalten, die in ihrer Dimension ohnehin unerreichbar seien. Er rechne ohnehin mit einem Herunterfahren europäischer Produktionskapazitäten in Zukunft und plane selbst Investitionen nicht in Europa, sondern Indien, Mexiko, China.

Aus Ohnebergs Sicht solle Österreich das „Mindset“ ändern und seine Stärke als Holdingstandort und Innovationsstandort gezielt ausbauen. Durch den Fokus auf die Förderung der F&E- Aktivitäten sowie den Ausbau der Spitzen-Universitäten bliebe die wichtigste Ressource – Wissen – im Land.

Ohneberg brachte zudem die Idee einer europäischen Local-Content-Strategie ein. So wie China europäische Hersteller zu lokaler Produktion verpflichtet habe, könne auch Europa Autobauer wie BYD verpflichten, für den europäischen Markt künftig in Europa zu produzieren. Nun solle man das Modell umdrehen und Technologietransfer und Entwicklungshilfe nach Österreich und Europa bekommen.

Prinzhorn stimmte zu und riet den Unternehmen, beim Überlegen der Unternehmensstrategie auch einen Blick auf die Wirtschaftspläne der chinesischen Regierung zu werfen. Man könne sich am Fünf-Jahres-Plan orientieren, um gegebenenfalls zu erkennen, in welchen Geschäftsfeldern mit chinesischer Konkurrenz zu rechnen sein werde und in welchen Bereichen man in Europa noch eine Chance habe. Prinzhorn mahnte auch ein, permanent auf die Optimierung der Kosten zu achten und beispielsweise die Verlagerung von Shared-Service-Center ins Ausland zu prüfen. Auch hätte man in Österreich aus Angst vor Absatzverlusten verlernt, Verkaufspreise zu erhöhen – da wäre man langsamer als beispielsweise in Osteuropa.

Dr. Ludwig forderte, Regulation und Förderungen deutlich zu reduzieren, um wieder mehr Marktmechanismen wirken zu lassen. Eine entfesselte Industrie könne mit Innovation neue Räume erschließen und wieder verstärkt in Europa produzieren.

Martin Ohneberg – CEO/Owner, HENN Connector Group und President of the Supervisory Board, VERBUND

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Fazit: Die Uhr tickt.

Ob es Österreich gelingt, aus eigener Kraft Reformen anzustoßen, bleibt offen. Vieles deutet darauf hin, dass die Dynamik des globalen Wettbewerbs schneller als die politische Entscheidungsfähigkeit ist.

Dr. Ludwig sah keine ausreichende Reformwilligkeit in Österreich und schätzte, dass sich die Krise in Österreich eher noch ausweiten werde. Auch Prinzhorn teilte diese Sichtweise und ist fürchtete, dass echte Reformen erst durch eine schwere Krise ausgelöst werden. Es gab aber auch positive Einschätzungen: Stürgkh sah die Chance einer politischen und wirtschaftlichen Neuausrichtung durch stärkere europäische Integration, während Ohneberg betonte, dass die Industrie selbst bereits heute eigenständig handeln müsse.

Das Industrieforum von Herakles Management und TenglerConsulting mit fast 100 Teilnehmern zeigte auch: Die Instrumente für eine Wende sind bekannt – ein stärker integrierter EU-Binnenmarkt, mutige Standortentscheidungen, weniger Bürokratie, mehr Innovationskraft.
Die Frage ist nicht, was zu tun wäre. Sondern, wie lange Europa noch Zeit hat, es zu tun.

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TenglerConsulting: Orientierung in turbulenten Zeiten

Die Diskussion zu Wettbewerbsfähigkeit, Ausrichtung globaler Lieferketten und permanenter Kostenoptimierung bestätigte uns in unserer Arbeit mit international agierenden Industrieunternehmen. TenglerConsulting unterstützt Industrieunternehmen dabei, ihre Lieferketten zu optimieren, deren Kosten zu senken und Supply Chain Management zukunftssicher auszurichten. So entwickeln wir gemeinsam mit und bei unseren Kundinnen und Kunden jene strukturelle Resilienz und Agilität, die ihre Unternehmen benötigen, um in ihren Märkten innovativ, reaktionsfähig und wettbewerbsfähig zu sein.

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Weitere Fotos

Unter folgenden Link finden Sie weitere Fotos vom Event:

Industrieforum – Herakles Management TenglerConsulting

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